Vocalensemble Hottingen Zürich |
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JOHANNES BRAHMS "Ein deutsches Requiem" von Johannes Brahms ist in verschiedener Hinsicht ein singuläres Werk: seine Entstehungsgeschichte, seine Stellung im System musikalischer Gattungen, der theologisch-liturgische Hintergrund, ein Komponist, der mit 33 Jahren als sein erstes abendfüllendes Werk ein Requiem schrieb, und schliesslich die nach heutigen Massstäben als veritable "Events" inszenierten Vor- und Uraufführung(en) - all das sind Merkmale, die seine besondere Bedeutung unterstreichen. Die Idee, eine Trauerkantate zu schreiben, kam Johannes Brahms möglicherweise schon 1856 unter dem Eindruck des tragischen Todes seines verehrten Freundes und Förderers Robert Schumann. 1861 notierte er die Textzusammenstellung auf der Rückseite eines Notenblatts. Doch erst der Tod seiner Mutter im Februar 1865 scheint ihm Anlass gewesen zu sein, die inzwischen ruhende Komposition wieder aufzunehmen. Im April 1865 schickte Brahms Clara Schumann einige Notenblätter aus dem Chorstück Nr. IV, das er als in "einer Art deutschem Requiem" komponiert bezeichnet, "mit dem ich derzeit etwas liebäugele". Wenig später schrieb er ihr, er habe sich die Texte aus der Bibel zusammengestellt. Das Werk beginne mit einem Chor in F-Dur, "ohne Geigen, aber mit Harfen und anderen Schönheiten". Der zweite Satz habe den Charakter eines Trauermarschs zum Text "Denn alles Fleisch ist wie Gras". Seine vorsichtigen Äusserungen zu einzelnen Sätzen zeugen von wiederkehrenden Zweifeln an deren Qualität und lassen vermuten, dass sich seine Vorstellung von der endgültigen Gestalt des Werks erst im Laufe der Komposition konkretisierte. Erwähnenswert sind Brahms' Beziehungen zur Schweiz während der Arbeit am Requiem: 1866 weilte er zwei Monate im Hause seines Verlegers Rieter-Biedermann in Winterthur, danach mietete er eine Wohnung an der Toblerstrasse in Fluntern am Zürichberg. Dort dürften die Sätze VI und VII entstanden sein. Am 24. Oktober 1866 trug Brahms das Requiem, bestehend aus den Teilen I-IV und VI-VII, als vollendet in sein Werkverzeichnis ein. Im Sommer 1867 gelangten Teile der Partitur an den Bremer Domorganisten Karl Reinthaler, der - nachdem die Sätze I-III bereits am 1. Dezember 1867 in Wien aufgeführt worden waren - die Erstaufführung des sechssätzigen Werks unter Brahms' eigener Leitung für Karfreitag 1868 vorbereitete. Dieses Ereignis zog - auf dem Höhepunkt des Musikerstreits zwischen "Neudeutschen" wie Liszt und Wagner und "Traditionalisten" um Eduard Hanslick - musikalische Prominenz aus dem gesamten deutschen Sprachraum an. Das Requiem wurde bewundert, kritisiert und sehr kontrovers diskutiert. Eine letzte Erweiterung komponierte Brahms im Mai 1868 und fügte sie als Satz V in das Werk ein. Am 17. September 1868 liess er diesen Satz in einer Privatveranstaltung im "alten Musiksaale beim Fraumünster" in Zürich mit dem Tonhalle-Orchester unter Friedrich Hegar aufführen. Der Musiksaal befand sich in einem limmatseitig vor Chor und Kreuzgang des Fraumünsters stehenden Gebäude, das 1897 beim Neubau des Stadthauses abgerissen wurde und die heute von den Chagall-Fenstern gezierte Fassade freigab. Die Decke dieses Saals wurde in den immer noch als Musiksaal bezeichneten Sitzungssaal des Stadthauses wieder eingebaut. In seiner heutigen Fassung erklang das Brahms-Requiem erstmals am 18. Februar 1869 unter Leitung von Carl Reinecke im Leipziger Gewandhaus - 13 Jahre nach Schumanns Tod. Trotz seines Titels sperrt sich "Ein deutsches Requiem" gegen jede gattungsmässige Kategorisierung. Während das lateinische Requiem ein Bittgebet ist, das einem Verstorbenen gilt und ihm helfen soll, zur ewigen Ruhe zu gelangen, wendet sich der protestantische Brahms an die Hinterbliebenen, die Trost und Hilfe brauchen. Das in der lateinischen Totenmesse zentrale Jüngste Gericht deutet er im Satz VI nur kurz an, die Erlösung durch Jesus Christus lässt er sogar vollständig aus. Schon seinen Zeitgenossen fiel dies auf: "Es fehlt aber für das christliche Bewusstsein der Punkt, um den sich alles dreht, nämlich der Erlösungstod des Herrn", schrieb ihm Karl Reinthaler und fügte nach Satz IV die Arie "Ich weiss, dass mein Erlöser lebt" aus Händels Messias ein. Brahms wollte sein Requiem aber losgelöst von jeglichem sakralen oder gar liturgischen Kontext verstanden wissen. "Den Menschen" wollte er es ursprünglich widmen. An anderer Stelle betonte er, dass er die Texte als Musiker ausgewählt hätte, und nicht etwa als Theologe oder als Dichter. Auch einer Einordnung als Oratorium entzieht sich das Werk klar. Einerseits vermied Brahms die dafür charakteristischen Satztypen Rezitativ und Arie, andererseits verzichtet er auf Personen und Handlung. Jedoch dürfte er sich bei der Textauswahl und -anordnung an den 1847 und 1861 entstandenen Oratorien "Das Gedächtnis der Entschlafenen" von Friedrich Wilhelm Markull und "Die ewige Heimath" von Hermann Küster orientiert haben. Eine Entwicklungslinie von Schützens "Musikalischen Exequien" über Bachs Trauerkantaten und Schuberts "Deutsche Messe" zum Requiem von Brahms zu postulieren, wie es damals verbreitet geschah, scheint aus heutiger Sicht aber gewagt. Was die Kompositionstechnik betrifft, ist Brahms' profunde Kenntnis historischer Vorbilder hingegen gesichert. Mehrfach verwendete er kontrapunktische Techniken, als deren Höhepunkte die Fugen der Sätze III und VI gelten können. "Der Gerechten Seelen" erklingt über einem 35 Takte währenden Orgelpunkt. Im Duktus eines Trauermarschs - allerdings im 3/4-Takt - zeigt Satz II die Vergänglichkeit alles Lebendigen. Satz IV beschreibt dann in fast dissonanzenfreiem Dur die Wärme der himmlischen Orte. Die motivische Wiederaufnahme des ersten Satzes "Selig sind, die da Leid tragen" am Ende des Schlusssatzes "Selig sind die Toten" verleiht dem Werk überdies eine zyklische Geschlossenheit. Noch vor der vollständigen Uraufführung des Werks erschienen Partitur, Stimmen und der vom Komponisten selbst eingerichtete Klavierauszug im Verlag Rieter-Biedermann, der 1849 in Winterthur gegründet wurde und seit 1862 auch eine Niederlassung in Leipzig betrieb. Die Fassung für Klavier vierhändig folgte im Frühjahr 1869. Brahms war sehr daran gelegen, einen gut klingenden Klaviersatz zu schreiben, der "leicht und flott zu spielen" sein sollte. Ein reger Briefwechsel mit dem Verleger zeugt von bisweilen "verdriesslicher Arbeit". In der Tat geht diese Fassung weit über einen üblichen Klavierauszug hinaus. Brahms ergänzte zahlreiche Vortragszeichen und konkretisierte damit seine klanglichen Intentionen. Man könnte also von einer letzten, definitiven Fassung sprechen. Der im Konzert zu hörende, 7-oktavige, mit Palisanderholz furnierte Flügel "Julius Blüthner, Leipzig" wurde 1874 gebaut. Julius Ferdinand Blüthner war damals "Königl. sächsischer Hof-Pianofortefabrikant". Die Besaitung des Instruments ist kreuzsaitig angelegt und in "Pariser Stimmung" (a'= 435Hz) gestimmt. Die Blüthnersche Patentmechanik ist eine Eigenentwicklung und unterscheidet sich wesentlich von der damals schon verbreiteten Repetitionsmechanik von Erard. Text des Requiems
I Ziemlich langsam und mit Ausdruck
II Langsam, marschmässig
III Andante moderato
IV Mässig bewegt
V Langsam
V Andante
V Feierlich Besetzung
Wir danken der Kirchgemeinde Zürich-Hottingen für ihre Unterstützung. Historischer Blüthner-Flügel von Georg F. Senn, Binningen. Redaktion, Texte und Gestaltung des Programmhefts: Hans-Christof Maier, Titelseite: Reto Cuonz. |
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