Vocalensemble Hottingen Zürich

JOHANNES BRAHMS
1833 - 1897
Ein Deutsches Requiem   •   op. 45
In der Fassung für Soli, Chor und Klavier zu vier Händen

"Ein deutsches Requiem" von Johannes Brahms ist in verschiedener Hinsicht ein singuläres Werk: seine Entstehungsgeschichte, seine Stellung im System musikalischer Gattungen, der theologisch-liturgische Hintergrund, ein Komponist, der mit 33 Jahren als sein erstes abendfüllendes Werk ein Requiem schrieb, und schliesslich die nach heutigen Massstäben als veritable "Events" inszenierten Vor- und Uraufführung(en) - all das sind Merkmale, die seine besondere Bedeutung unterstreichen.

Die Idee, eine Trauerkantate zu schreiben, kam Johannes Brahms möglicherweise schon 1856 unter dem Eindruck des tragischen Todes seines verehrten Freundes und Förderers Robert Schumann. 1861 notierte er die Textzusammenstellung auf der Rückseite eines Notenblatts. Doch erst der Tod seiner Mutter im Februar 1865 scheint ihm Anlass gewesen zu sein, die inzwischen ruhende Komposition wieder aufzunehmen.

Im April 1865 schickte Brahms Clara Schumann einige Notenblätter aus dem Chorstück Nr. IV, das er als in "einer Art deutschem Requiem" komponiert bezeichnet, "mit dem ich derzeit etwas liebäugele". Wenig später schrieb er ihr, er habe sich die Texte aus der Bibel zusammengestellt. Das Werk beginne mit einem Chor in F-Dur, "ohne Geigen, aber mit Harfen und anderen Schönheiten". Der zweite Satz habe den Charakter eines Trauermarschs zum Text "Denn alles Fleisch ist wie Gras".

Seine vorsichtigen Äusserungen zu einzelnen Sätzen zeugen von wiederkehrenden Zweifeln an deren Qualität und lassen vermuten, dass sich seine Vorstellung von der endgültigen Gestalt des Werks erst im Laufe der Komposition konkretisierte.

Erwähnenswert sind Brahms' Beziehungen zur Schweiz während der Arbeit am Requiem: 1866 weilte er zwei Monate im Hause seines Verlegers Rieter-Biedermann in Winterthur, danach mietete er eine Wohnung an der Toblerstrasse in Fluntern am Zürichberg. Dort dürften die Sätze VI und VII entstanden sein. Am 24. Oktober 1866 trug Brahms das Requiem, bestehend aus den Teilen I-IV und VI-VII, als vollendet in sein Werkverzeichnis ein.

Im Sommer 1867 gelangten Teile der Partitur an den Bremer Domorganisten Karl Reinthaler, der - nachdem die Sätze I-III bereits am 1. Dezember 1867 in Wien aufgeführt worden waren - die Erstaufführung des sechssätzigen Werks unter Brahms' eigener Leitung für Karfreitag 1868 vorbereitete. Dieses Ereignis zog - auf dem Höhepunkt des Musikerstreits zwischen "Neudeutschen" wie Liszt und Wagner und "Traditionalisten" um Eduard Hanslick - musikalische Prominenz aus dem gesamten deutschen Sprachraum an. Das Requiem wurde bewundert, kritisiert und sehr kontrovers diskutiert.

Eine letzte Erweiterung komponierte Brahms im Mai 1868 und fügte sie als Satz V in das Werk ein. Am 17. September 1868 liess er diesen Satz in einer Privatveranstaltung im "alten Musiksaale beim Fraumünster" in Zürich mit dem Tonhalle-Orchester unter Friedrich Hegar aufführen. Der Musiksaal befand sich in einem limmatseitig vor Chor und Kreuzgang des Fraumünsters stehenden Gebäude, das 1897 beim Neubau des Stadthauses abgerissen wurde und die heute von den Chagall-Fenstern gezierte Fassade freigab. Die Decke dieses Saals wurde in den immer noch als Musiksaal bezeichneten Sitzungssaal des Stadthauses wieder eingebaut.

In seiner heutigen Fassung erklang das Brahms-Requiem erstmals am 18. Februar 1869 unter Leitung von Carl Reinecke im Leipziger Gewandhaus - 13 Jahre nach Schumanns Tod.

Trotz seines Titels sperrt sich "Ein deutsches Requiem" gegen jede gattungsmässige Kategorisierung. Während das lateinische Requiem ein Bittgebet ist, das einem Verstorbenen gilt und ihm helfen soll, zur ewigen Ruhe zu gelangen, wendet sich der protestantische Brahms an die Hinterbliebenen, die Trost und Hilfe brauchen. Das in der lateinischen Totenmesse zentrale Jüngste Gericht deutet er im Satz VI nur kurz an, die Erlösung durch Jesus Christus lässt er sogar vollständig aus.

Schon seinen Zeitgenossen fiel dies auf: "Es fehlt aber für das christliche Bewusstsein der Punkt, um den sich alles dreht, nämlich der Erlösungstod des Herrn", schrieb ihm Karl Reinthaler und fügte nach Satz IV die Arie "Ich weiss, dass mein Erlöser lebt" aus Händels Messias ein. Brahms wollte sein Requiem aber losgelöst von jeglichem sakralen oder gar liturgischen Kontext verstanden wissen. "Den Menschen" wollte er es ursprünglich widmen. An anderer Stelle betonte er, dass er die Texte als Musiker ausgewählt hätte, und nicht etwa als Theologe oder als Dichter.

Auch einer Einordnung als Oratorium entzieht sich das Werk klar. Einerseits vermied Brahms die dafür charakteristischen Satztypen Rezitativ und Arie, andererseits verzichtet er auf Personen und Handlung. Jedoch dürfte er sich bei der Textauswahl und -anordnung an den 1847 und 1861 entstandenen Oratorien "Das Gedächtnis der Entschlafenen" von Friedrich Wilhelm Markull und "Die ewige Heimath" von Hermann Küster orientiert haben. Eine Entwicklungslinie von Schützens "Musikalischen Exequien" über Bachs Trauerkantaten und Schuberts "Deutsche Messe" zum Requiem von Brahms zu postulieren, wie es damals verbreitet geschah, scheint aus heutiger Sicht aber gewagt.

Was die Kompositionstechnik betrifft, ist Brahms' profunde Kenntnis historischer Vorbilder hingegen gesichert. Mehrfach verwendete er kontrapunktische Techniken, als deren Höhepunkte die Fugen der Sätze III und VI gelten können. "Der Gerechten Seelen" erklingt über einem 35 Takte währenden Orgelpunkt. Im Duktus eines Trauermarschs - allerdings im 3/4-Takt - zeigt Satz II die Vergänglichkeit alles Lebendigen. Satz IV beschreibt dann in fast dissonanzenfreiem Dur die Wärme der himmlischen Orte. Die motivische Wiederaufnahme des ersten Satzes "Selig sind, die da Leid tragen" am Ende des Schlusssatzes "Selig sind die Toten" verleiht dem Werk überdies eine zyklische Geschlossenheit.

Noch vor der vollständigen Uraufführung des Werks erschienen Partitur, Stimmen und der vom Komponisten selbst eingerichtete Klavierauszug im Verlag Rieter-Biedermann, der 1849 in Winterthur gegründet wurde und seit 1862 auch eine Niederlassung in Leipzig betrieb.

Die Fassung für Klavier vierhändig folgte im Frühjahr 1869. Brahms war sehr daran gelegen, einen gut klingenden Klaviersatz zu schreiben, der "leicht und flott zu spielen" sein sollte. Ein reger Briefwechsel mit dem Verleger zeugt von bisweilen "verdriesslicher Arbeit". In der Tat geht diese Fassung weit über einen üblichen Klavierauszug hinaus. Brahms ergänzte zahlreiche Vortragszeichen und konkretisierte damit seine klanglichen Intentionen. Man könnte also von einer letzten, definitiven Fassung sprechen.

Der im Konzert zu hörende, 7-oktavige, mit Palisanderholz furnierte Flügel "Julius Blüthner, Leipzig" wurde 1874 gebaut. Julius Ferdinand Blüthner war damals "Königl. sächsischer Hof-Pianofortefabrikant". Die Besaitung des Instruments ist kreuzsaitig angelegt und in "Pariser Stimmung" (a'= 435Hz) gestimmt. Die Blüthnersche Patentmechanik ist eine Eigenentwicklung und unterscheidet sich wesentlich von der damals schon verbreiteten Repetitionsmechanik von Erard.


Text des Requiems


I Ziemlich langsam und mit Ausdruck

Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.
Matth. 5,4


II Langsam, marschmässig

Denn alles Fleisch, es ist wie Gras, und alle Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blumen. Das Gras ist verdorret und die Blume abgefallen.
1. Petr. 1,24

So seid nun geduldig, lieben Brüder, bis auf die Zukunft des Herrn. Siehe, ein Ackermann wartet auf die köstliche Frucht der Erde und ist geduldig darüber, bis er empfahe den Morgenregen und Abendregen.
Jak. 5,7

Aber des Herrn Wort bleibet in Ewigkeit.
1. Petr. 1,25

Die Erlöseten des Herrn werden wiederkommen, und gen Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird weg müssen.
Jes. 35,10


III Andante moderato

Herr, lehre doch mich, dass ein Ende mit mir haben muss, und mein Leben ein Ziel hat, und ich davon muss. Siehe, meine Tage sind einer Hand breit vor dir, und mein Leben ist wie nichts vor dir. Ach, wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben. Sie gehen daher wie ein Schemen und machen ihnen viel vergebliche Unruhe; sie sammeln und wissen nicht, wer es kriegen wird. Nun, Herr, wes soll ich mich trösten? Ich hoffe auf dich.
Ps. 39, 5-8

Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand, und keine Qual rühret sie an.
Weish. Sal.3,1


IV Mässig bewegt

Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth! Meine Seele verlanget und sehnet sich nach den Vorhöfen des Herrn; mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott. Wohl denen, die in deinem Hause wohnen, die loben dich immerdar.
Ps. 84, 2.3.5


V Langsam

Ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wieder sehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.
Joh. 16,22

Sehet mich an: Ich habe eine kleine Zeit Mühe und Arbeit gehabt und habe grossen Trost funden.
Sir. 51,35

Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.
Jes. 66,13a


V Andante

Denn wir haben hie keine bleibende Statt, sondern die zukünftige suchen wir.
Hebr. 13,14

Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden; und dasselbige plötzlich, in einem Augenblick, zu der Zeit der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune schallen, und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden. Dann wird erfüllet werden das Wort, das geschrieben steht: Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?
l. Kor. 15,51-55

Herr, du bist würdig, zu nehmen Preis und Ehre und Kraft, denn du hast alle Dinge geschaffen, und durch deinen Willen haben sie das Wesen und sind geschaffen.
Off. Joh. 4,11


V Feierlich

Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben von nun an.
Ja, der Geist spricht, dass sie ruhen von ihrer Arbeit, denn ihre Werke folgen ihnen nach.
Off. Joh. 14,13b


Besetzung

Dorothea Frey wuchs in Wetzikon ZH auf. Nach der Ausbildung zur Primarlehrerin studierte sie Gesang bei Helen Keller in Zürich und anschliessend bei Elsa Cavelti in Basel. Sie ergänzte ihre Lehrjahre durch Meisterkurse bei verschiedenen Persönlichkeiten der Gesangskunst. Als Konzert- und Oratoriensängerin wirkt sie in der ganzen Schweiz und im benachbarten Ausland und konzertiert in verschiedenen Kammermusik-Formationen. Dadurch erschloss sie sich ein stilistisch weit gefächertes Repertoire von frühbarocker bis Neuer Musik mit Abstechern ins Volksliedgut und Experimentelle. Dorothea Frey unterrichtet Sologesang an der Kantonsschule Zürcher Oberland und lebt als freiberufliche Sängerin in Winterthur.

Wolf Matthias Friedrich erhielt seine Gesangsausbildung an der Hochschule für Musik "Felix Mendelssohn-Bartholdy" in Leipzig. 1980 wurde er Preisträger beim Internationalen Dvorák-Wettbewerb in Karlsbad. Von 1982 bis 1986 war er Mitglied des Opernstudios der Dresdener Staatsoper. Seitdem hat er sich insbesondere auf den Gebieten des Konzert- und Oratoriengesangs einen Namen gemacht. Konzertverpflichtungen unter dem Dirigat von Kurt Masur, R. Frühbeck de Burgos, F. Luisi u.a. führten ihn an zahlreiche europäische Festivals wie Schwetzingen, Innsbruck, Potsdam, Prag und mehrfach nach Israel. Auch im Liedfach hat Wolf Matthias Friedrich bei prominenten Projekten und Aufnahmen mitgewirkt.

Yoshihito Kato wurde in Tokio geboren und studierte bei Masako Kanematsu an der Musikhochschule Toho-Gakuen. In Japan entfaltete er ein vielseitiges solistisches und kammermusikalisches Wirken, u.a. mit Konzerten, Radio- und Fernsehaufnahmen und Ballett-aufführungen. Zwischen 1985 und 1991 vervollständigte er seine Studien mit dem künstlerischen Reife- und Solistendiplom bei Christoph Lieske an der Musikhochschule Winterthur. Zudem besuchte er Meisterkurse und erhielt mehrere Auszeichnungen. Yoshihito Kato konzertiert als Kammermusikpartner, sowie als Solist mit Chor und Orchester. Er unterrichtet an den Jugendmusikschulen Rapperswil-Jona und St. Gallen.

Suguru Ito studierte in Japan Ökonomie und Literatur, bevor er das Klavierstudium an der Basler Musikhochschule und der Schola Cantorum bei Andreas Staier aufnahm. 1993 schloss er mit dem Solistendiplom ab. Entscheidende Im-pulse erhielt er von Frans Brüggen, Jos van Immerseel, Johann Sonnleitner und Witold Lutoslawski. Suguru Ito konzertiert regelmässig an Festivals wie den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern, dem Lucerne Festival, Gidon Kremers Festival "les Muséiques" u.a. Er erhielt verschiedene internationale Auszeich-nungen und Preise. Seit 1995 ist er Dozent an der Hochschule für Musik und Theater Zürich. Daneben leitet er Meisterkurse am Talent Education Research Institute in Matsumoto (J).

Reto Cuonz besuchte nach dem Lehrerseminar die Kantorenschule bei Jakob Kobelt und anschliessend die Dirigierklasse von Olga Géczy. An der Musikhochschule Zürich studierte er Violoncello bei Claude Starck. Bei Christophe Coin in Paris und in dessen Celloklasse an der Scola Cantorum Basiliensis spezialisierte er sich auf das Barockcello. Seine rege Konzerttätigkeit - vor allem im Quartett und Orchester "ad fontes" - führte ihn in viele Länder Europas. Ausserdem ist er Cellist im "Parlement de Musique" Strasbourg und im "Sonetto Spirituale". Neben seiner pädagogischen Tätigkeit wirkt Reto Cuonz als Kirchenmusiker, Chorleiter und Dirigent an der Kreuzkirche Zürich-Hottingen.

Das Vocalensemble Hottingen Zürich wurde 1997 von Reto Cuonz gegründet und hat sich zum Ziel gesetzt, als ausgewogen besetzte, flexible Formation anspruchsvolle Chorliteratur aufzuführen. Die Probenarbeit geschieht in erster Linie projektorientiert. Sein Repertoire reicht von Claudio Monteverdis Marienvesper über Kantaten und Motetten von Johann Sebastian Bach bis zu Hugo Distlers Totentanz. Auch weltliche Werke von Schubert bis Brahms gehören dazu. Das Vocalensemble arbeitet eng mit der Kirchgemeinde Zürich-Hottingen zusammen und wirkt auch mehrmals im Jahr bei Gottesdiensten mit.

Sängerinnen und Sänger:
Sopran: Susanna Bär Briner, Katharina Boesch, Susanna Bucher, Therese Cuonz-Räz, Ariane Lüthi, Sigrid Mönkeberg, Sabina Schacher, Claudia Lena Schnetzler.
Alt: Sabine Felder, Brigitte Hartwig, Regina Kobe Théato, Franziska Koller, Gaby Schoop, Katrin Schönenberger-Meier, Claudia Spiess, Grazina Staniute Hagopian.
Tenor: Daniel Gisi, Clema Göldi, Bradley Jansen, Hans-Christof Maier, Gerhard Meier, Gabriel Piepke, Fortunat Schmid, Pascal Sydler.
Bass: Hans Briner, Martin Büssenschütt, Flurin Cuonz, Marc Hotz, Werner Joos, Gerald Jödicke, Jens Schulze, Claude Théato Kobe.

Wir danken der Kirchgemeinde Zürich-Hottingen für ihre Unterstützung.

Historischer Blüthner-Flügel von Georg F. Senn, Binningen.

Redaktion, Texte und Gestaltung des Programmhefts: Hans-Christof Maier, Titelseite: Reto Cuonz.

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